Wieso es sich lohnt, das Unmögliche zu denken

Wieso früher alle schlechter war und vielleicht genau das das Problem ist.

“Das wahre Problem unserer Zeit ist nicht, dass es uns nicht gut ginge oder dass es uns in Zukunft schlechter gehen könnte. Das wahre Problem ist, dass wir uns nichts Besseres vorstellen können.”

Dieses Zitat auf der Rückseite des Buchcovers beschreibt Rutger Bregmans Utopien für Realisten perfekt.

Wie Hans Rosling in Factfulness bereits ausdrücklich beschrieben hat, war früher objektiv eigentlich alles schlechter, als es heute ist. Selbst in den reichsten Ländern der Welt, wie z.B. den Niederlanden oder den Vereinigten Staaten, war die Lebenserwartung im Jahr 1800 noch geringer, als sie im Jahr 2012 im Land mit der weltweit schlechtesten Gesundheitslage, Sierra Leone, war. Sieht man sich die heutige Lebenssituation in Westeuropa an, dann kommt sie dem Schlaraffenland der mittelalterlichen Vorstellungswelt ziemlich nah. 

Während es den Menschen zu der damaligen Zeit nicht an utopischen Wunschgedanken fehlte, waren sie ja schließlich vorwiegend arm, hungrig, schmutzig, voller Furcht und dumm, so scheint es, dass wir in der heutigen westlichen Gesellschaft unser utopisches Gedankengut verloren haben. Aber sind wir wirklich schon am Ende der Fahnenstange angelangt? Müssen die Dinge ab jetzt immer so bleiben, wie sie sind? Ist alles heute gut so, wie es ist?

Aber warum arbeiten wir dann heute härter als noch in den achtziger Jahren, obwohl wir reicher sind als je zuvor? Warum leben immer noch Menschen in Armut, während wir global insgesamt reich genug sind, um der Armut ein für alle Mal ein Ende zu machen?

Diese und weitere Fragen wirft Rutger Bregman in seinem Bestseller auf und legt Ideen dar, die uns dabei helfen können, eine bessere Zukunft zu schaffen.

Radikale Ideen, die längst überfällig sind

Bregman,  bekannt für seinen Auftritt beim Weltwirtschaftsforum in Davos, stellt verschiedene zunächst utopisch wirkende Ideen vor und belegt ihre Verwirklichbarkeit eindrucksvoll. Seiner Meinung nach ist die Zeit längst reif für eine 15-Stunden-Woche, Offene Grenzen und das Bedingungslose Grundeinkommen. Was für den ein oder anderen vielleicht naiv und etwas zu gutmütig klingen mag, hat allerdings Hand und Fuß.

  1. Das Bedingungslose Grundeinkommen

Armen Menschen einfach Geld zu schenken scheint für viele keine Option. Dabei werden meist drei Argumente gegen ein solches Grundeinkommen genannt.

  • Aussichtslos: Können wir das überhaupt bezahlen?
  • Gefährlich: Würden die Menschen dann nicht einfach aufhören zu arbeiten?
  • Widernatürlich: Müsste dann nicht eine Minderheit härter arbeiten, um die faule Mehrheit zu ernähren?

Bregman beantwortet diese Fragen sachlich und fundiert und gibt uns somit den Raum, unser bisheriges gesellschaftliche System zu hinterfragen(S. 50ff.):

Ist es nicht eher aussichtslos, Geld in einen bürokratischen Apparat zu stecken, der Sozialhilfeempfänger um jeden Preis in Jobs mit geringer Produktivität zwängt?

Ist es nicht viel mehr gefährlich, auf Innovationen zu verzichten, wenn sich immer mehr kluge Köpfe, um ein hohes und sicheres Einkommen zu bekommen, für “Bullshitjobs” entscheiden, die den Wohlstand nur verschieben, anstatt neuen zu schaffen?

Und ist unser heutiger Sozialstaat nicht widernatürlich, wenn er Beamte einsetzt, die Unterstützungsempfänger kontrollieren und sie durch Anspruchsprüfungen, Bewerbungen, Bewilligungen und Rückforderungsverfahren demütigt?

  1. Die 15- Stunden Woche

Für den bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, John Maynard Keynes, war die Beantwortung der Frage nach der größten Herausforderung des nachfolgenden Jahrhunderts im Jahr 1930 einfach: die Freizeit. “Im Jahr 2030 werden wir nur noch 15 Stunden in der Woche arbeiten” (S. 129f.).  Der technische Fortschritt und die damit einhergehende Produktivitätssteigerung “sollte genutzt werden, um die Arbeitswoche so weit wie möglich zu verkürzen” (von Bregman aus John Stuart Mills Evangelium der Muße zitiert). Fragt man sich nun, welche Probleme tatsächlich mit einer Verkürzung der Arbeitszeit gelöst werden, stellt Bregman die Gegenfrage: Gibt es ein Problem, das man mit einer Verkürzung der Arbeitszeit nicht lösen kann?

Stress? Klimawandel? Unfälle? Arbeitslosigkeit? Emanzipation der Frau? Alternde Bevölkerung? Ungleichheit?

Richtig umgesetzt kann eine Verkürzung der Arbeitszeit für all diese Probleme eine Lösung sein. Letztendlich geht es hier nicht darum,  endlose lethargische Wochenende zu verbringen, sondern mehr Zeit für Dinge zu haben, die uns wirklich wichtig sind.

  1. Offene Grenzen

Hier möchte ich lieber nicht zu viel vorgreifen. Die Argumente gegen Zuwanderung sind allseits bekannt.  Einen Fakt möchte ich allerdings zitieren: “In den sechziger Jahren überquerten Millionen von Mexikanern die Grenze (zur USA), aber 85 Prozent von ihnen kehrten im Lauf der Zeit in ihr Geburtsland zurück. […] Seit den achtziger Jahren ist die US- amerikanische Seite der Grenze erheblich militarisiert worden. […] Mittlerweile kehren nur noch 7 Prozent der illegalen Einwanderer aus Mexiko irgendwann in ihre alte Heimat zurück.” (S. 225)

Wie (utopische) Ideen genau jetzt, in Zeiten der Pandemie, die Welt verändern können!

Ideen zur Verbesserung der Welt sind nobel und wichtig, ohne konkrete Umsetzungen bringen diese uns allerdings nicht viel. Bregman gibt dem Leser dazu interessante Gedanken mit auf den Weg. Als Historiker weiß er, dass gesellschaftliche Utopien eine Tendenz dazu haben, Wirklichkeit zu werden. Die Frage ist dann nicht, ob neue Vorstellungen die alten ablösen können, sondern wie das zu bewerkstelligen ist.  

Forschungsergebnisse weisen hier darauf hin, dass Schocks Wunder bewirken können: Die Welt wird selten schrittweise, sondern meist in abrupten Schüben verändert. Ein ökonomischer Vertreter, der unser heutiges Wirtschaftssystem mit geprägt hat wie kaum ein anderer, Milton Friedman, sagte einst “Nur eine Krise führt zu wirklichen Veränderungen” (zitiert auf S. 244). Dieser nutzte seinerzeit die Krise 1973, in der die westlichen Volkswirtschaften in eine Rezession schlitterten, um das fünfzig Jahre zuvor noch als radikale Idee geltende System des Neoliberalismus salonfähig zu machen. Friedman, der selber von der Macht neuer und teils radikaler Ideen überzeugt war, sorgte somit für den Start eines globalen Systems, dass wenig Raum für eben diese lässt.

Daher sollte uns die aktuelle Situation wachrütteln. “Wenn eine Krise eintritt, hängen die Maßnahmen, die ergriffen werden, davon ab, welche Ideen bereitliegen” (ebenso Friedmann). Im Gegensatz zur Weltwirtschaftskrise 2008 sind wir diesmal ausgestattet mit einer Vielzahl an wertvollen Ideen. Die Krise hat uns dazu gezwungen, systemrelevante Jobs aufzulisten, unser Konsumverhalten zu reflektieren und uns auf die wichtigen Dinge im Leben zu besinnen.

Nun ist es an uns, zusammen diese Ideen zu konkretisieren und eine Gesellschaft zu schaffen, in der wir nicht nur Meinungsfreiheit haben, sondern auch etwas zu sagen und etwas, an das wir glauben können (S. 246): “Unser Ziel sollte nicht ein vollkommenes Utopia sein, sondern eine Welt, in der Phantasie und Hoffnung lebendig sind” (Bertrand Russell, zitiert auf S. 29). Es ist an uns, diese Zukunft zu schaffen.

Das Lesen von Utopien für Realisten weckt bei mir ein großes Verlangen danach, wieder zu träumen und mich zu fragen: was für ein Mensch möchte ich sein? In was für einer Gesellschaft möchte ich leben? Was für eine Welt möchte ich meinen Kindern hinterlassen? Ist die “freie Marktwirtschaft” und unser kapitalistisches System, so wie wir es jetzt vorfinden, tatsächlich das Ende der Fahnenstange?

Schlussendlich stellt sich die Frage: Sind wir auf dem richtigen Weg? Oder sollten wir die Segel nicht schleunigst Richtung Utopia setzen?


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2 Replies to “Wieso es sich lohnt, das Unmögliche zu denken”

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