Im Rahmen unseres aktuellen Themas des Monats widmet sich Theresa der Frage “Wie Trump wollen wir werden?” und gibt dazu einige wichtige Denkanstöße.
Lest selbst:
Wie Trump wollen wir werden?
“Der erste Impuls ist, „0%“ zu sagen, und zu erwarten, dass das eigentlich klar sein müsse – wer will schon so sein, wie Trump?
Doch dann erinnere ich mich an die Wahlnacht, nein, die Wahlwoche und muss mir eingestehen, dass über 70.000.000 (in Worten: Siebzig Millionen) Amerikaner für Trump gestimmt haben. Auch wenn er am Ende (hoffentlich) keine zweite Amtszeit bekommt, ist das eine ganze Menge Stimmen für einen Menschen, dem ich zu 0% ähneln möchte.
Im Zusammenhang mit der Wahl und der endlosen TV Berichterstattung ist mir vor allem ein Zitat aus dem Internet im Kopf geblieben. Demnach ist Trump „a poor man’s idea of a rich man, a weak man’s idea of a strong man and a stupid man’s idea of a smart man.”
Ich finde, diese Zuschreibung sehr interessant, denn sie verdeutlicht auf vielschichtige Weise das Problem mit Trump: Wer diese Zuschreibung benutzt oder gutheißt (und ich muss gestehen, dass es mir so geht), entlarvt sich selbst als überheblich, denn er*sie hält sich offenbar selbst weder für arm, schwach oder dumm und glaubt doch, dass dies Eigenschaften der Trump Wähler*innen seien. Wir haben schon so viele skandalöse Dinge von Trump gehört und gesehen, dass wir nicht glauben können, dass irgendeine Person, die klar denken kann, diesem Mann ihre Stimme geben würde.
Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass über 70 Millionen Amerikaner*innen geistesgestört sind. Sie haben sehr wohl Gründe, Trump gut zu finden und ihn zu wählen. Und das sollte uns zu denken geben. Wir sollten die Überheblichkeit aufgeben und uns wirklich fragen, was Trump für viele Menschen so attraktiv macht.
Trump inszeniert sich selber als politischer Außenseiter, als einer „von euch“, der „denen da oben“ die Meinung sagt und sich nicht an ihren Machtspielchen beteiligt. Er verkörpert auf eine Weise den amerikanischen Traum, der vielen Europäer*innen fremd ist, weil wir Amerika von außen betrachten und es nur in Relation zu uns – den Europäer*innen sehen. Wenn man aber als Amerikaner*in an den „american exceptionalism“ glaubt, dann ist es plötzlich gar nicht mehr so absurd, dass Trump auf dem internationalen Parkett alle Benimmregeln über Bord wirft und respektlos und herrisch mit anderen Politiker*innen umgeht.
Für Menschen die selbst unter den Auswüchsen des amerikanischen und globalen Kapitalismus leiden und zusehends den Glauben daran verlieren, dass die heimischen Politiker*innen etwas daran ändern, kann es sehr befriedigend sein, Trump dabei zuzusehen, wie er sich dem politischen Establishment in Washington gegenüber respektlos und herrisch verhält. Dass Trump in Wahrheit gar kein Außenseiter ist und sein Reichtum und seine Macht nicht etwa mit eigenen Händen erarbeitet, sondern geerbt und durch genau die kapitalistischen Mechanismen gefestigt wurden, die den Menschen der Unter- und Mittelschicht das Leben schwer machen, scheint in dieser Konstellation von erstaunlich geringer Bedeutung zu sein. Trump geriert sich als einfacher Mann, als Rüpel, der lügt ohne rot zu werden, der Frauen küsst ohne zu fragen oder ihnen an die „Pussy“ fasst, wenn ihm danach ist. Jemand der schamlos all die Dinge sagt, „die man heutzutage ja wohl noch sagen dürfen wird.“ Spätestens hier merken wir, dass der Politikertyp Trump keine genuin amerikanische Erscheinung ist, sondern im Augenblick in fast allen westlichen Demokratien auftaucht. Es sind die Alphatiere, die Männer, die Macher, die all jenen alten weißen Männern (und Frauen) ein Vorbild sind, die ihre Felle in der sich immer weiter diversifizierenden Welt davon schwimmen sehen: Es sind Menschen, die sich bedroht fühlen von Frauen, die selbstbestimmt leben wollen, von Homosexuellen, die Gleichberechtigung fordern, von Minderheiten, die sich nicht mehr sagen lassen wollen, wie sie zu leben haben. Dazu kommt noch wirtschaftliche Unsicherheit, (scheinbar) unlösbare Probleme wie der Klimawandel, und eine generelle Verkomplizierung der Welt, die mit einfachen Mitteln nicht mehr zu erklären ist. Wer möchte da nicht einen starken „Führer“ haben, der die Welt in schwarz und weiß teilt und sagt: „Überlasst das mir. Ich werde es schon richten.“
Wer erkannt hat, dass es für komplizierte Probleme keine einfachen Lösungen gibt, lässt sich von Führungskraftsimulation nicht so leicht blenden. Es kann aber oft schwer sein, den Durchblick zu behalten, weil die Medien aus Eigeninteresse – Sensationalismus stärkt die Auflage – eher über effekthascherische Politik berichten als über trockene Sacharbeit.
Trump ist also nicht das Problem, sondern nur das Symptom eines Grundübels: Die Kräfte des alten Systems – vulgo: die alten weißen Männer – wollen ihre Macht nicht aufgeben und tun alles, um sie zu behalten. Erfreulicherweise werden sie damit auf lange Sicht keinen Erfolg haben. Denn erstens, spielt die Zeit gegen sie. Die Welt wandelt sich immer schneller und eine Führungssimulation ohne echte Führungskompetenz muss irgendwann scheitern. Und zweitens (und das ist der wichtigste Aspekt) waren die alten Eliten noch nie in der Mehrheit!
Der Garant für eine funktionierende Demokratie ist also Vielfalt und Repräsentation. Sowohl was Geschlechter und Religionen also auch was Bildung und soziokulturelle Hintergründe betrifft. Wenn wir die Versprechen der Demokratie ernst nehmen und alle Menschen gleichermaßen beteiligen, können wir uns einem Aufbäumen der Trumps dieser Welt entgegenstellen und so auf eine Welt hinarbeiten, in der wirklich 0% Trump herrscht.”
Theresa Hannig ist eine deutsche Schriftstellerin. Sie wurde 1984 in München geboren. Nach dem Studium der Politikwissenschaft, Philosophie und VWL an der LMU München arbeitete sie als Softwareentwicklerin, SAP Beraterin, Projektmanagerin von Solaranlagen und Lichtdesignerin. Die Erfahrungen, die sie im Studium und im Berufsleben sammelte, inspirierten sie zu ihrem Roman Die Optimierer, mit dessen Manuskript sie 2016 den 1. Stefan-Lübbe-Preis gewann, woraufhin der Roman im September 2017 bei Bastei Lübbe veröffentlicht wurde. Im März 2018 gewann sie mit Die Optimierer den Phantastik-Literaturpreis Seraph 2018 für das beste Debüt. Am 28. Juni 2019 erschien Hannigs neuer Roman Die Unvollkommenen, der inhaltlich Die Optimierer fortsetzt, thematisch aber neue Schwerpunkte setzt. Eine Rezension zu Die Optimierer findet ihr hier.